4 Rund um den Glockenturm · Oktober/November 2025 Moment mal! Vielen Dank für die Wolken. Vielen Dank für das Wohltemperierte Klavier und, warum nicht, für die warmen Winterstiefel. Vielen Dank für mein sonderbares Gehirn und für allerhand andre verborgne Organe, für die Luft, und natürlich für den Bordeaux. Herzlichen Dank dafür, daß mir das Feuerzeug nicht ausgeht, und die Begierde, und das Bedauern, das inständige Bedauern. Vielen Dank für die vier Jahreszeiten, für die Zahl e und für das Koffein, und natürlich für die Erdbeeren auf dem Teller, gemalt von Chardin, sowie für den Schlaf, für den Schlaf ganz besonders, und, damit ich es nicht vergesse, für den Anfang und das Ende und die paar Minuten dazwischen inständigen Dank, meinetwegen für die Wühlmäuse draußen im Garten auch. n Hans Magnus Enzensberger Liebe Leserin, lieber Leser, »Empfänger unbekannt – Retour à l'expéditeur«, so lautet dieses Gedicht von Hans Magnus Enzensberger. Gefällt es Ihnen auch so gut wie mir? Es lässt einen erstaunt aufhorchen und schmunzeln: Was für witzige, ja scheinbar unzusammenhängende Assoziationen Enzensberger da zusammenbringt. Kleine Alltäglichkeiten und das große Ganze. All das, was das Leben lebenswert macht. Enzensberger zählt auf, was ihn dankbar sein lässt. Was erfüllt Sie mit Wärme und Glück? Was macht Sie dankbar? Sag doch mal »Danke«, so wird es oft mit Kindern eingeübt. Dank – als Ritual, Pflichtübung?! Dank als Haltung, als Einübung in die Achtsamkeit des Wertschätzens? Wer übt mit uns die Achtsamkeit und den Dank ein, wo so vieles anscheinend für selbstverständlich, immer verfügbar und machbar gehalten wird? Das Besondere, ja Wunderbare entdecken im Alltäglichen – das Wahrnehmen lernen, darum geht es. Anfang Oktober feiern wir alljährlich das Erntedankfest. Es erinnert uns an die Fülle und Schönheit des Lebens und an die Unverfügbarkeit des Gelingens, daran, dass eben nichts selbstverständlich ist. »Wir pflügen und wir streuen den Samen auf das Land, doch Wachstum und Gedeihen steht in des Himmels Hand.«, so dichtete schon Matthias Claudius 1783. Und im November erinnern wir uns mit Dank an all die Menschen, die unser Leben geteilt haben. Am Ewigkeitssonntag nennen wir ihre Namen, entzünden Kerzen und danken für das gemeinsame Leben. Dankbarkeit bedeutet Achtsamkeit und Wertschätzung. Unser Leben verflacht, wenn wir dies nicht mehr spüren können. Wohin mit unserem Dank? Können wir ihn spüren? Können wir ihn ausdrücken? »Empfänger unbekannt – zurück an Absender«, so der Titel des Gedichtes von Enzensberger. Wenn Dank nirgendwo ankommt, resonanzlos bleibt, dann verflacht er. Dann bleibt nur noch ein »Glück gehabt« übrig – oder »so ist das Leben.« Unser Dank braucht einen Resonanzraum – braucht ein Gegenüber. Braucht Mensch und Gott – den unbekannten und doch immer auch spürbaren – in den kleinen und großen Dingen des Lebens. n Ihre Pastorin Petra Wilhelm-Kirst Wohin mit dem Dank Empfänger unbekannt?
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