Rund um den Glockenturm 08/09 2025

6 Rund um den Glockenturm · August/September 2025 Titelgeschichte Barrierefreiheit Ein Recht auf (digitale) Teilhabe »Ich habe Gott sei Dank Leute, die für mich das Internet bedienen«, so wurde Michael Glos, Bundesminister für Wirtschaft und Technologie, im März 2007 im Handelsblatt zitiert. Der Zugang zu Informationen im Internet ist seitdem normaler und auch wesentlich komfortabler geworden. Doch für Millionen von Nutzern bleiben Websites immer noch verschlossen. Zu kleine Schriftgrößen, fehlende Bildbeschreibungen oder komplizierte Navigation schaffen Hürden. Barrierefreiheit soll diese Hindernisse aus dem Weg räumen. Was bedeutet (digitale) Barrierefreiheit? Barrierefreiheit macht die Umwelt oder auch mediale Inhalte für alle Menschen nutzbar. Menschen mit Sehbehinderungen lesen Texte mit Screenreadern vor. Menschen mit motorischen Einschränkungen navigieren per Tastatur. Menschen mit kognitiven Beeinträchtigungen brauchen einfache Sprache. Ein barrierefreies Design berücksichtigt diese Bedürfnisse von Anfang an. Von der Rampe zum digitalen Zugang: Die Geschichte der Barrierefreiheit Barrierefreiheit ist kein neues Konzept. In den 1970er Jahren kämpften Aktivisten für Rollstuhlrampen und breitere Türen. Der Wheelchair March von 1977 in den USA zeigte: Menschen mit Behinderungen wollen selbstbestimmt leben. Deutschland führte 2002 das Behindertengleichstellungsgesetz (BGG) ein. Öffentliche Gebäude mussten barrierefrei werden. Private Unternehmen blieben lange außen vor. Das Internet veränderte alles. Plötzlich entstanden neue Barrieren: Websites ohne Tastaturnavigation, Videos ohne Untertitel, Formulare ohne Beschriftungen. Im Jahr 1999 veröffentlichte das World Wide Web Consortium die ersten Richtlinien für barrierefreie Webinhalte. Tim Berners-Lee, der Erfinder des Internets, sagte: »Das Web ist für alle da.« Die UN- Behindertenrechtskonvention von 2006 machte digitale Teilhabe zum Menschenrecht. Deutschland ratifizierte sie 2009. Heute leben wir im digitalen Zeitalter. Online- Banking, E-Learning und Telemedizin sind Standard geworden. Wer diese Dienste nicht nutzen kann, ist vom gesellschaftlichen Leben oftmals ausgeschlossen. Das Barrierefreiheitsstärkungsgesetz: Neue Pflichten ab 2025 Deutschland hat das Barrierefreiheitsstärkungsgesetz verabschiedet. Ab Juni 2025 müssen Unternehmen ihre digitalen Dienste barrierefrei gestalten. Online-Shops, Banking-Apps und Dienstleistungsportale fallen unter diese Regelung. Wer sich nicht daran hält, riskiert hohe Bußgelder. Das Gesetz setzt EU-Richtlinien um. Andere europäische Länder haben ähnliche Bestimmungen eingeführt. Warum Barrierefreiheit wichtig ist Rund acht Millionen Menschen in Deutschland leben mit einer Behinderung (Stand 2024). Viele weitere haben temporäre Einschränkungen durch Verletzungen oder altersbedingte Veränderungen. Barrierefreie Websites erreichen somit mehr Besucher. Sie verbessern das Nutzererlebnis für alle. Und auch Google bewertet barrierefreie Seiten besser in den Suchergebnissen. Vielleicht erinnern Sie sich an Ihren letzten Webseitenbesuch bei grellem Sonnenlicht durchs Zimmerfenster. Hohe Kontraste halfen Ihnen evtl. dabei, den Bildschirm besser lesen zu können. Das ist Barrierefreiheit in Aktion.

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